Ambrosius Benson war zwischen 1518 und 1550 in Brügge tätig und malte im Stil der flämischen Meister altniederländischer Malerei. Er signierte üblicherweise seine Werke nicht, wie auch in diesem Fall, jedoch kann es durch typische Charakteristika seinem Oeuvre gesichert zugeordnet werden. Das religiöse Werk wurde entweder im Auftrag der Kirche oder, hier aufgrund der Größe, als privates Andachtsbild gemalt. Es ist dabei in Komposition und einzelnen Elementen mit jenem Weihnachtsbild sehr verwandt, das in der staatlichen Eremitage in St. Petersburg ausgestellt ist.
Die Heilige Familie, bestehend aus Maria, Josef und dem Jesuskind, nimmt zwei Drittel der Bildfläche ein und ist pyramidal konstruiert: Maria und Josef knien in andächtiger Haltung, das Kind flankierend. Es liegt auf einem Tuch in einer Krippe gefüllt mit Stroh, welches auch als Bündel im Vordergrund gezeigt wird. Ochs und Esel hinter dem Kind vervollständigen die Gruppe und verorten die Darstellung in einem Stall. Die aus Steinblöcken bestehenden Mauern sowie die Holzdecke wirkt eher brüchig und ruinös; auch Vegetation hat sich ihren Weg durch die steinernen Ziegel gebahnt. Im Hintergrund gibt ein großes Fenster den Blick auf eine hügelige Landschaft frei, die von Schafen bevölkert ist. Atmosphärische Lichterspiele in der Himmelsöffnung zwischen den Wolken lenken den Blick in die Ferne, während die irdischen Stadtmauern andeuten, dass die Figuren in der Natur außerhalb eines urbanen Umfeldes inszeniert werden. Ein jüngerer und ein älterer Hirte stehen hinter dem Fenster und blicken auf das Geschehen, den Betrachter spiegelnd. Dahinter könnte sogar schemenhaft, in weißen Umrisslinien, ein Engel zu sehen sein, der gerade die frohe Botschaft verkündet, dass der Messias geboren sei. Besonders spannend ist auch die Gruppe von sechs Engeln, die aus der linken oberen Ecke – aus himmlischen Sphären – herabfliegt und in verschiedener Gestik durch gefaltete oder erhobene Hände ihre Huldigung ausdrückt. Die Blicke aller gezeigten Figuren sind auf das kleine Kind in der Krippe gerichtet, wobei besonders die Blickbeziehung zwischen Mutter und Kind hervorgehoben wird, nicht zuletzt durch den angedeuteten Heiligenschein Marias und Jesu. Die typische flämische Haube führt das Geschehen in einen zeitgenössischen Kontext.Ein besonders eindrucksvolles Vergleichsbeispiel ist jenes Bild desselben Sujets in der Eremitage: Nicht nur die Anordnung der Heiligen Familie ist ident, sondern auch die Position und Gestik der herabgleitenden Engelsschar sowie des Kindes. Der Ausblick in eine Hügellandschaft in der rechten Bildhälfte ist ebenfalls ähnlich; jedoch treten hier vier Hirten näher an das Geschehen heran; die zentrale Familie nimmt nur mehr die Hälfte der Szene ein, die diesmal in einer stärker bevölkerten Stadt und antiker Ruinenlandschaft verortet ist. Dies hängt mit großer Wahrscheinlichkeit von unterschiedlicher Auftraggeberschaft ab: Durch den Reichtum der Handelsmetropolen, wie etwa die flämische Stadt Brügge, in der der Künstler tätig war, fungierten die reichen Patrizier nun ebenfalls als wichtige Auftraggeber und Mäzene. Die bühnenhafte Szene einer ruinösen Tempellandschaft in der Eremitage geht auf das Konzept der rudimentären Urhütte (die erste Behausung der Menschen) zurück, die ab dem späten 15. Jahrhundert gerne durch Ruinen ersetzt wurde. Jedoch wollte der Maler im Falle des vorgestellten Bildes eine Atmosphäre schaffen, in der Armut und Einfachheit besser zur Schau gestellt werden, wodurch auch die innige Zweisamkeit und Frömmigkeit, besonders in Verbindung mit dem hohen Grad an Naturalismus, betont wird. Der Übergang von Spätgotik zur Renaissance ist hier besonders schön in Szene gesetzt: Symbolträchtige Farben mittelalterlicher Manier, wie etwa das leuchtende Rot von Josefs Gewand, könnte auf die zukünftige Passion Christi anspielen. Auch der reiche Faltenwurf und die gelängten Proportionen der Figuren verweisen auf die spätgotische Tradition. Hier ist besonders auf den Vergleich mit Bensons Gemälde „Rast auf der Flucht nach Ägypten“ im Groenigemuseum hinzuweisen, da hier sowohl die leuchtend rote Farbgebung des Mantels als auch die Physiognomie des Kindes ident ist. Weiters ist Maria im beschriebenen Gemälde mit besticktem Kleid und reich mit Brokatborten verziertem Mantel zu sehen, die auf ihre zukünftige Position als Himmelskönigin hinweisen. Derselbe brokatgesäumte Mantel in kunstvoller Draperie ist auf der Geburtsszene in der Yale University Art Gallery zu sehen. Hier sind sowohl die Anordnung die Heiligen Familie, die Position des Kindes und das darunter drapierte weiße Tuch gleich. Besonders eindrücklich ist beim vorgestellten Bild jedoch die neue, genaue Naturbeobachtung, so beispielsweise die aus den Mauern wuchernden Pflanzen oder die einzelnen Halme, die sich vom Strohballen gelöst haben. Eine detaillierte stoffliche Oberflächencharakterisierung und Plastizität wird besonders bei dem geflochtenen Körbchen gezeigt, das hier (und auch bei den erwähnten Vergleichsbeispielen) präsent und mit Wickeltüchern gefüllt ist. Dabei handelt es sich vermutlich um ein besonders charakteristisches Merkmal der von Benson ausgeführten Geburtsszenen Jesu. Diese universelle Formensprache der altniederländischen Malerei wurde von Benson im Laufe seiner künstlerischen Tätigkeit immer wieder aufgegriffen und variiert um eine tiefe Religiosität auszudrücken, die sich zwar noch spätgotischen-symbolhaften Merkmalen bedient aber bereits in der naturalistischen Tradition der Renaissance verhaftet ist.
