Das Christuskind aus Mechelen – Ein beliebtes Sujet der Andacht
Diese kleine, eindrucksvolle Skulptur aus dem Anfang des 16. Jahrhundert zeigt das Jesuskind in einer für Mechelen charakteristischen Form. Das nackte Kind steht aufrecht und verbindet religiöse Autorität mit kindlicher Lebendigkeit. Besonders bemerkenswert sind die feinen malerischen Akzente: Das Inkarnat ist zart und warm gefasst, mit geröteten Pausbacken, Brust, Bäuchlein und Knien. So erscheint Christus nicht nur als göttliche Gestalt, sondern zugleich ganz lebensnah. Die Nacktheit betont die wahre Menschwerdung Christi; das Kind ist verletzlich, unschuldig und tatsächlich menschlich geboren. Jedoch verweist diese völlige Offenheit seines Körpers auch auf das spätere Leiden und die Kreuzigung, wo er ebenfalls entblößt wird.
Ausdruck & Attribute
Mit der erhobenen rechten Hand zeigt das Kind den Segens- oder Sprechgestus – ein Hinweis auf seine göttliche Sendung. In der linken Hand hält es den orbis cruciger, die Weltkugel mit Kreuz (dieses ist durch die Jahrhunderte verloren gegangen), Sinnbild seiner Herrschaft über die Erde und seines Sieges durch das Kreuz. Bereits im Kind offenbart sich so der Anspruch, dass das Heil der Welt durch Christus in menschlicher Gestalt kommt. Das Jesuskind blickt offen nach vorne, ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen. Die goldenen Löckchen stehen keck vom Kopf ab – ein typisches Merkmal der Mechelener Figuren, das ihre Lebendigkeit noch steigert.
Mechelen als Zentrum
Mechelen war im 16. Jahrhundert ein bedeutendes Zentrum religiöser Skulptur in den habsburgischen Niederlanden. Von hier verbreiteten sich die kleinen Jesusfiguren, auch unter dem französischen Namen L’Enfant Jésus de Malines, nach Frankreich und später in katholische Sammlungen weltweit. Meist aus einem Stück Nussholz geschnitzt, dienten sie als Andachtsobjekte im privaten wie im klösterlichen Bereich. Die Produktion zielte jedoch besonders auf den privaten Markt: Figuren, die familiäre Nähe erzeugten und kindliche Züge betonten, waren gefragt. Das nackte stehende Jesuskind wurde so zu einem beliebten Typus, weil es das Bindeglied zwischen Intimität und Theologie schuf. Ihre handliche Größe machte sie transportabel, und ihre anrührende Darstellung förderte eine persönliche Christusfrömmigkeit.
Ein bedeutendes Vergleichsstück befindet sich heute im Louvre in Paris (Inv.-Nr. RF 2009.05). Auch dort ist das Kind unbekleidet und im Kontrapost stehend dargestellt, mit Segensgeste und Weltenkugel. Besonders die flach aufliegende Kalottenfrisur und die seitlich in Voluten abstehenden Locken zeigen die enge stilistische Verwandtschaft.
Ikonographischer Kontext
Diese Darstellung reiht sich in die lange Tradition der Kindheitsdarstellungen Jesu ein, die im Zuge der spätmittelalterlichen Andacht eine neue Blüte erlebten. Das Jesuskind wurde nicht mehr nur als hilfloses Neugeborenes, sondern auch als segnender Weltenherrscher gezeigt – zugleich göttlich und menschlich, erhaben und dennoch nahbar. Durch das „realistische“ und kindliche Erscheinungsbild wurde der Zugang zur Andacht erleichtert: Man konnte Jesus nicht nur als Gott, sondern auch als kleines Kind emotional „greifbar“ verehren.
Wirkung
So verkörpert dieses Mechelener Jesuskind die theologische und emotionale Tiefe seiner Zeit – als sichtbares Zeichen der Gegenwart Christi und zugleich als Ausdruck persönlicher, tröstender Frömmigkeit. Es vereint kindliche Anmut und sakrale Bedeutung auf eindrucksvolle Weise.
Literatur
Fanny Cayron – Delphine Steyaert, „Made in Malines. Les statuettes malinoises ou poupées de Malines de 1500-1540“, Étude matérielle et typologique, Brussel 2019.
Sophie Guillot de Suduiraut – Christine Lancestremère, „La production de statuettes à Malines“, in: Michele Tomasi (Hrsg.), L’art multiplié. Production de masse, en série, pour le marché dans les arts entre Moyen Âge et Renaissance, Rome 2011, 89-103.



