HERAUSRAGENDE MADONNA

Bayern
Um 1515/20
Lindenholz geschnitzt
Originale, polychrome Fassung
Höhe 60 cm

Diese meisterhaft geschnitzte, vollrunde Madonna entstand gegen 1515-20 im bayrischen Raum,
ausgeführt in Lindenholz. Mit einer Größe von 60 cm und einer im Original erhaltenen Fassung kommen die einzelnen verspielten Details besonders gut zur Geltung.

Marias Körper ist im leichten S-Schwung festgehalten, wobei das nackte Jesuskind auf ihrer rechten Hüfte zu balancieren scheint. Die Mutter hält ihr Kind an sich gedrückt; in der linken Hand umfasste sie wohl ursprünglich ein separat gefertigtes Attribut. Jesus ist mit keck abgewinkelten Füßchen gezeigt, in der linken Hand eine goldene Kugel oder eine Frucht haltend und die rechte Hand zum Segensgestus erhoben. Hiermit verweist er auf seine Position als Weltenherrscher. Beide Figuren blicken mit leicht gesenkten Augenlidern auf denselben Punkt schräg unten, wobei dies auf einen erhöhten Aufstellungsort hindeutet, an dem die Madonna ursprünglich stand. Die Betrachter sahen somit zur auf Untersicht konzipierten Figur hinauf und bauten eine Blickbeziehung auf, besonders mit Maria als Fürbitterin. Beide Figuren haben liebliche Gesichter mit betonten roten Wangen und einer hohen Stirn, nach dem Schönheitsideal der Gotik. Maria ist besonders durch die bildhauerische Meisterleistung der hohen Krone mit gotischem Schnitzwerk in Kreuzblumen-ähnlicher Form hervorgehoben, unter der sich ein langes weißes Tuch als Schleier spielerisch hindurchwindet. Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang auch Marias aufwändig ausgeführtes Haar in gotischer Manier, das in langen Wellen und mehrfachen Strähnen am Rücken herabfließt, wobei es hier auf den Faltengraten des schweren Gewandes aufliegt. Diese Stilisierung wurde auch in die Ausführung des langen Mantels übertragen, der um Marias Körper geschwungen ist. In dynamischer Form bricht der Überwurf in eckigen Schüsselfalten, die an ihrem Unterkörper zentriert bleiben; eine dramatisch wirkende Diagonalfalte mündet in einer Ohrenfalte an ihrem linken Bein. Das suggerierte Volumen äußert sich ebenso in den tiefen Furchen zu Marias Unterkleid, unter dem ihre Schuhspitzen hervorblitzen. Eine weitere Falte verdeckt ein spannendes Detail auf der Bodenoberfläche: Maria steht auf einer Mondsichel, auf der ein beturbantes Gesicht mit dunkler Hautfarbe aufliegt.

Die Gattung der Mondsichelmadonnen ist charakteristisch für die Zeit der Spätgotik. 
Das Marienbildnis bezieht sich auf die Offenbarung des Johannes und die dort erwähnte Erscheinung der apokalyptischen Frau: „Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.“ (Offb. 12,1). Im Volksmund spricht man davon, dass sich die Ausführung des Gesichts auf die Türkenbelagerung beziehe, oder aber, dass sich hier der Schnitzer selbst mit einem Porträt verewigte. Eine vergleichbare Darstellung einer Mondsichelmadonna befindet sich im Überlinger Münster, datiert um das Jahr 1510. Jedoch zeugt die hier vorgestellte Figur von einer äußerst großen Sorgfalt in der Ausführung, durch die der Schnitzmeister ein museales Stück schuf, das aufgrund der eleganten Größe wohl zur privaten Andacht eines wohlhabenden Auftraggebers diente.